Todd Phillips - Der Joker.
Ich habe im Vorfeld viele Bewertungen gelesen und Filmkritiken anstudiert.
Dass ich ihn anschauen werde, stand außer Frage.
Und was meine Erwartungen anging, war ich dieses Mal sehr ambivalent.
Die Richtung und der Plot des Filmes waren mir nicht so klar.
Auch weil ich nicht wollte, dass sie mir klar sind
Ich brauche, außer bei Disney und Co, Unbefangenheit und nur marginale Informationen.
Ich möchte selbst erleben.
Gespoilerte Bewertungen lasse ich immer bewusst aus.
So auch dieses Mal.
Ein Psychogramm.
Soviel war mir klar.
Kein Schurken und kein Superheldenfilm.
Das wusste ich.
Ich war sehr gespannt darauf, was mich erwartet.
Sehr sehr.
-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-Nach dem Joker.
Binnich sprachlos.
Der Film wirkt nach. Heftig nach.
Fühlte mich völlig verloren.
Wusste nicht, was ich denken kann.
Fühlte mich schrecklich einsam. Erschlagen. Verzweifelt. Schockiert. Fassungslos. Entsetzt. Ergriffen. Aufgewühlt. Berührt. Gerührt. Leer. Sprach- und Wortlos.
Aber vordergründig -tief traurig.
Und völlig erschöpft.
Ich fühlte mich- und fühle mich, so weiß ich jetzt - heute -Misshandelt. Nach oder von diesem Film.
Fühle für den Charakter, die Person, den Arthur Fleck, welche Joaquin Phoenix auf der Leinwand wirken ließ, tiefe Trauer, Verständnis und Mitgefühl. Liebe. Beschützerinstinkte werden wach.
Bei mir. In mir.
Ich fühlte und fühle mit diesem Charakter.
*Es fällt mir noch immer schwer darüber zu schreiben , bemerke ich.
Die Melodie meiner Gedanken.
Ich versuche sie angestrengt mit Worten zu versehen, damit ein hörbares Lied daraus wird.
Im Moment klingt es noch wie das Requiem von Ligeti in mir.
Ich suche eine Melodie. Etwas Melacholisches, an das ich mich halten kann um mich zu orientieren.
Da ist noch nichts. Da kommt auch nichts. Weil da nichts ist. Außer verstörende Trauer aus der es kein Entrinnen gibt. Nie
Vergeblich wartet man, wartete ich, gestern im Film, heute, auf die Töne des Preludiums von Bach.
Kein Dur. Nur Moll. A Moll. Und geweckte Fluchtinstinkte.
Zu jeder Zeit dieser zwei Stunden hätte ich das Kino gern verlassen.
Womöglich bin ich für die Art derer Filme zu sensitiv, zu empathisch.
Manchmal ist gut nicht zu wissen was einen erwartet und ins Straucheln zu kommen, mitgenommen zu sein.
Ich fühle für die Personen, welche Arthur umgeben und im Griff haben , eine tiefe Verachtung, Angst, dämonische Angst, moralische Abscheu, Ekel, Feindseligkeit, fühle Rachgelüste -> Hass.
Und vor Allem Angst. Beunruhigende Angst. Bedrohende Angst.
Ich fühle mich misshandelt.
Arthur Fleck. Der Joker.
Gespielt von Joaquin Phoenix.
Zur ausgefüllten Rolle kann ich ganz sachlich sagen. Hervorragend gecastet.
Wer auch immer der Bestimmer war und Herrn Phoenix die Rolle anvertraute - wie auf den Leib geschneidert!
In der Tat!
Der Leib des Arthur Fleck, seine leicht verstellte Körperhaltung, seine Mimik, Gestik , Haptik - all das scheint J.P. derart verinnerlicht zu haben, dass man meinen könnte er kam schon so, wie er ihn spielen wird, zum Casting.
Sodass nur noch gesagt werden musste: "Ähm...Yes...You got it. You can do it! You´re the ONE! Finish! Go home people."
Er ist es. Er fühlte das. Er füllte diese Rolle. Vollkommen. Es wirkt, als würde er gar nicht schauspielern. Er transportiert sich so brillant in die Köpfe der Zuschauer, dass man sich schämt zuzuschauen.
Wie geht sowas nur. Das ist Wahnsinn.
Anders hätte diese Figur, welche er verkörperte, nicht diesen Effekt auf den Großteil des Publikums.
Es ist unfassbar, für mich, was Schauspieler zustande bringen.
Und ich ziehe tatsächlich, jedes Mal wieder meinen Hut vor ihnen.
Das ist keine brotlose Kunst. Das ist echt und gewissermaßen unbezahlbar.
Hier -schlecht bezahlt, Joaquin Phoenix . Was für eine Leistung.
Das IST ein Oscar. Das ist einer.
Nun.
Der Film.
Er beginnt mit einer Träne. Welche sich den Weg über die blaue Schminke unter traurigen Augen über das Weiß der fahlen Wangen sucht.
Es folgt eine derart gewalthafte Szene, dass ich am liebsten das Kino direkt wieder verlassen hätte. Schwer auszuhalten.
Ich habe da schon das erste Mal geweint. Unfassbar.
Arthur ist ein Tagelöhner. Er verdingt sich als Clown. Und diese Auflösung am Ende des Films ist fast am Schwersten zu ertragen.
* Mir kommen schon wieder die Tränen.
Er gibt sich große, aller größte Mühe gut zu sein, in dem, in Allem was er tut.
Er möchte, nein er kann niemanden enttäuschen. ER KANN ES EINFACH NICHT.
Die Überschrift des Films könnte ein Zitat aus seinem Tagebuch sein, welches er führen soll, muss, weil eine Angestellte der Stadt, welche seine psychologische Stütze darstellen soll, das so verlangt.
Und da Arthur immer tut was, egal wer, von ihm, verlangt, schreibt er Tagebuch.
Das Einzige, was im Grunde beweist, ihm beweist, dass er lebt. Lebendig ist. Träumen kann. Lieben kann. Doch nicht leben kann.
"Wenn mein Leben schon so sinnlos ist. Vielleicht ist dann wenigstens mein Tod sinnvoll"
Diese SACHbearbeiterin befragt ihn jedesmal rhetorisch , wenn er pünktlich, gepflegt, beflissen und freundlich zu ihr kommt, nach dem Tagebuch:"Arthur. Haben sie ihr Tagebuch dabei! Sie haben es doch dabei! So wie ich es ihnen gesagt habe! Und sie führen es doch! So wie ich es ihnen aufgetragen habe!" Und sie schaut dabei. Leer. Irgendwohin. In sich rein, nehme ich an.
Arthur schaut sie an.
Aufmerksam.
Arthur hat es immer dabei. Natürlich.
Und Arthur ist immer aufmerksam. Das muss er auch sein. Davon hängt sein Leben ab.
Er notiert sich alles. Alles was ihn inspiriert. Anspricht. Aus ihm raus will. Von Außen an ihn herankommt. Nach drinnen will oder soll. Von Innen aus ihm herauskommt. Nach draußen soll oder will.
(*Jetzt fällt mir grad auf, ein, dass das Tagebuch an sich eine Rettung für ihn war...nein..der Gedanke flaut wieder ab ...Rettung? Um am Leben zu bleiben? Um zu hoffen auf...was?)
Alles was ihr auffällt, als sie es lustlos durchblättert ist.
Und nun, möge er das bitte rechtfertigen.
Doch sie hört nicht zu. Sie ist nicht DA. Sie sieht ihn NICHT: Als wäre er ...tot..nicht da.
"Arthur! Wissen sie weshalb sie hier sind!"
Arthur muss zu ihr, weil er eine Krankheit hat.
So hat man ihm das gesagt.
Einen erworbenen Hirnschaden. Dieser sorgt dafür, dass er, manchmal, einfach so lachen muss.
Ohne dies steuern zu können.
Sehr schnell kommt man auf den Gedanken, dass er immer dann lachen MUSS, wenn er eigentlich weinen WILL oder Angst hat, wenn ES ihm den Brustkorb zuschnürt, die Luft nimmt.
Er hat ein immer sein Kärtchen dabei, welches er vorzeigt, wenn er lacht, ohne dass es situativ passend wäre.
Für DIE ANDEREN passend wäre.
Laut lacht, nicht sprechen kann um sich erklären zu können. Dann gibt er sein Kärtchen heraus, welches ganz abgenutzt ist, auf dem auf der Rückseite der Hinweis steht " Bitte geben sie mir dieses Kärtchen wieder zurück"
Arthur ist ein guter Mensch. Er achtet seine Mitmenschen. Sein Umfeld. Er liebt Kinder. Ist immer freundlich. Friedlich. Vereinigt alle Primär- und Sekundärtugenden in sich. Er ist eine Tugend.
Das wurde ihm auf den Leib geschunden. Tief in seine Seele gemartert. Das wurde ihm in seinen Kopf gefoltert. Das wurde ihm aus seinem Herzen misshandelt. Das wurde ihm als Persönlichkeit aufgebrannt.
Seine Mutter. Die liebt Arthur. Er tut alles. Alles nur für sie.
*Ich könnte grad etwas bitteres zu Trinken gebrauchen.
WOW.
Die beiden leben symbiotisch zusammen in einer Wohnung .In Gotham City. Arthur kümmert sich um alles. Auch um diese Wohnung. Und als Clown, wo er selbst in dieser gefälligen Rolle überfallen, ausgebraubt und schwer verletzt wird, sorgt er dafür, dass auch Geld hereinkommt. Damit die Mutter ein Leben führen kann. Ein möglichst Gutes. Auf Kosten ihres einzigen Sohnes.
Sie nennt ihn : "Happy". Nicht Arthur. Oder Liebes. Oder mein Kind.
Sie nennt ihn Happy. Das ist unerträglich, denn Arthur ist alles andere als happy.
Doch Arthur musste immer fröhlich sein. Immer.
Er durfte niemals traurig sein. Er durfte nie weinen. Er musste tanzen. Lachen. Unterhalten. Sollte immer, egal unter welchen Umständen auch immer- FRÖHLICHKEIT Und HEITERKEIT verbreiten.
*ich muss eine Pause machen.
Ich fühe mich so misshandelt
(Zwischen dem obigem Eintrag und dem folgenden, lagen viele Stunden dieses Tages.
Ich versuche den Faden wieder aufzunehmen und in das Filmgefühl zu kommen.)
Zu erahnen ist, dass hätte er nicht die Rolle des Happy ausgefüllt, wäre er nicht mehr am Leben.
Nach einem erneuten Angriff dreier junger Männer in einem Zugabteil, wo Arthur noch als Clown verkleidet saß, nachdem er seinen Job, seine Aufgabe verloren hatte - obwohl er keinen Fehler begangen hat und doch eines Fehlers bezichtigt wurde, da ein Kollegenclown ihn verleumdete-zog er zum allerersten Mal in seinem furchtbaren Leben eine Waffe.
Welche er von dem Kollegen, welcher ihn diffamierte, geschenkt bekam.
Dieses Gefühl, diese Männer getötet zu haben, gab ihm ein Gefühl welches ich als Zuschauer spontan mit Einfluss oder Stärke beschreiben würde.
Seine Körperhaltung straffte sich und er strahlte etwas selbstbewusstes aus.
In seiner überbordenden Fantasie aus diesem Gefühl heraus, fabulierte er sich ein stürmisches Abenteuer mit der hübschen Nachbarin. Ab dem Zeitpunkt ist sie seine imaginäre Freundin.
Sex. Oder körperliche Liebe - Zugewandtheit- Zärtlichkeit - geschweige denn eine wie auch immer geartete Beziehung zu einer Frau - hatte Arthur noch nie.
Ich möchte gar nicht soweit ausholen und den Film in Gänze hier herunterschreiben.
Arthur wird durch die Tötung der drei Sohnemänner im Zug zum Star des Prekariats von Gotham City .
Niemand weiß oder ahnt, dass er es war.
Alles was man weiß, ist dass die Person eine Clownsmaske trug.
Und Clownsmasken werden zum Sinnbild für Aufstand und Gegenwehr den oberen Zehntausend gegenüber.
Man fordert Gerechtigkeit und ein gutes Leben für Alle.
Der Joker ist geboren.
Der Joker. So nannte ihn Thomas Wayne, ein Talkmaster wie hierzulande Stefan Raab, der die Leute im TV bloßstellt und zur Belustigung freigibt.
Joker..das sollte abfällig gemeint sein.
Doch Arthur fühlt sich von diesem Namen berührt und angesprochen und übernimmt diesen als Pseudonym in dem Moment, wo er bei Thomas Wayne in der Sendung als Gast eingeladen wird.
Der als Clown verkleidete Joker ist geboren.
Gefeiert und gehypt, da er als Rächer der Armen und Vergessenen auftritt.
Und endlich am Leben.
Gesehen. Gefeiert. Geliebt.
.Das Ende ist so ergreifend wie der Anfang.
Ich war sogar ein Wenig stolz auf "meinen" Joker.
Hier griff bei mir das Tarantino oder Jensen Prinzip.
Es ist ein sehr grausamer Film der das Nerven- und Gefühlskostüm ganz ganz bitter in Mitleidenschaft nimmt.
Keine einzige Minute Verschnaufpause. Anspannung und Entsetzen 122 Minuten lang.
Ähnlich einem Besuch in einem Konzentrationslager.
Ja .Ähnlich. Sehr.
Die Altersfreigabe ab 16 empfinde ich persönlich als zu niedrig angesetzt.
Der Film ist extrem verstörend und für Kids im Alter von sechszehn Jahren nicht zu verstehen. Meine ich
Was sollen Jugendliche mit diesen Bildern auf der Seele anfangen?
Mit den Eltern drüber reden? Bestimmt.
Ich traue wenigen sechszehn Jährigen zu, die Handlung, den Sinn und den Hintergrund dieses Dramas zu spannen und das, was sich aus dem Verstehen ergeben sollte, umzusetzen.
Ja.
Bitte anschauen.
Meine Empfehlung. Für Erwachsene. Vielleicht besser an einem guten Tag. Wenn man nervlich auf der Höhe ist.
Ja.
Aber.
Das ist kein Popcorn Kino.
Essen vergeht einem sehr schnell und erscheint einem selber als äußerst dekadent und unangebracht, ganz plötzlich.
Das Geld kann man sich gut sparen und an Projekte spenden, die sich um Kinder kümmern, welche nie ein liebevolles, sicheres Zuhause erfahren haben.
Ja!
Hinschauen, eine Haltung, falls noch nicht vorhanden, entwickeln für das Handlungsthema des Filmes und Konsequenzen daraus ableiten.
Unbedingt!
Zwingend!
Ich habe im Nachhinein die zwei gefragt, die neben mir saßen.
Antworten-> Ich bin sprachlos. Und. Ich bin total geflasht. Das habe ich nicht erwartet.
Ein kurzes Gespräch mit den Beiden führen-> Nicht möglich.
Sah aus wie Paralyse, was ich sah.
Copyright © (2024) Janet Bepunkt, Mittevierzig