Heute zum Beispiel ist Tag der Kuscheltier-Liebhaber.
Es ist wirklich jeden Tag irgendein Tag.
Das ist sehr spannend, weil ich mir ja zu jedem Tag eigene Gedanken machen kann.
Heute über mein Verhältnis zu Kuscheltieren.
Ich selber habe zwei. Einen kleinen Schneemann, den habe ich mal von meinem Erstgeborenen bekommen, da war er vier Jahre alt. Heute ist er zwanzig Jahre älter.
Und einen einarmigen Weihnachtsmann. Der verkörpert meine Oma.Also ich spreche ihn immer mit "Oma" an. Der kleine Schneemann stützt immer den Weihnachtsmann, denn der Schneemann hat zwei lange Arme, die er um den Weihnachtsmann legen kann. Da sind am Ende der Arme so Magneten drin. (Die Magnete funktionieren nicht mehr. Nach all den Jahren.) Denn Der Weihnachtsmann hat nur einen Arm. Und braucht den Schneemann.
die zwei gehören also untrennbar zusammen. Untrennbar.
Zu meiner Oma hatte und habe ich ein sehr besonderes Verhältnis. Sie war mein Hort.Sie liebte mich sehr und ich sie genauso zurück.
Bei ihr auf dem Fußboden habe ich oft mit einer Fußbank gespielt. Mit ihrer Fußbank.
Aber wenn ich da war, dann war das meine Fußbank. Und diese Fußbank war alles. Schloss. Haus. Schule. Kindergarten. Treppe. Zoo. Rummel.
Alles spielte sich in auf, hinter und unter dieser Fußbank ab. Eine kleine Welt. Ein Universum.
Und ich durfte spielen. Alles was ich wollte. Und Oma war da. Immer. So richtig da.
Ich habe nie gehört, dass ich zu laut sei oder sowas. Oder dass ich jetzt aufhören müsse zu spielen.
Im Fernseher lief meistens Skispringen. Im Sommer nicht, da lief Tennis. Und unten auf dem Fußboden, vor dem Fernseher, da spielte ich. Wenn ich bei Oma war.
Ich habe mir immer vorgestellt, als ich noch viel jünger war, dass ich meiner Oma mal eine Karte schenke mit der sie Boris Becker treffen kann.
Der war ihr großes Idol. Sie hat immer ganz laut mitgefiebert und auch so Aufschlaggeräusche gemacht, wie eine echte Omaprofitennisspielerin, wenn Herr Becker einen Aufschlag machte.
Ich glaube, sie war ein bisschen verliebt in ihn- so sehe ich das heute, wo ich fast in ihrem Alter bin, in dem sie früher war, als sie für mich eine echte Oma war, mit Winkearmen und Falten, die ich so liebte an ihr.
Und ich war mir sicher, dass ich diese Karte irgendwann für sie haben würde. Weil sie so eine tolle, die beste, liebste, schönste Omi der Welt ist.
Wenn ich Hunger hatte oder Hunger haben sollte, dann hat Oma mir ein Zuckerbrot gemacht.
Das war ein Schwarzbrot, bei uns in der deutschen demokratischen Republik war Schwarzbrot das, was heute ein Graubrot ist, es gab nur Schwarz- und Weißbrot, deswegen war alles was kein Weißbrot ist-ein Schwarzbrot.
Also das war eine Stulle Schwarzbrot mit dünn Butter-es gab nur Butter-Margarine nahm man in der DDR nur zum braten-und darauf streute sie dann Zucker.
Und dann schnitt sie es in viereckige kleine Happen.
So ungefähr drei mal drei Zentimeter große Happen.
Dieses Festmahl aß ich dann, auf der Fußbank natürlich. Die Fußbank war dann mein Rastplatz- daran erinnere ich mich. Auch dass ich vorher ein Deckchen auf die Fußbank legte und ganz glatt zog und wischte-ganz ordentlich sollte mein Plätzchen auf dem ich das Festmahl einnahm, aussehen.
Diese Deckchen hat meine Oma selbst gestickt, oder ich glaube es heißt bestickt. Für Handarbeit habe ich mich leider nie interessiert-außer als ich schwanger war mit meinem Letztgeborenen, da habe ich aus Langerweile eine Decke, aus all der Wolle die ich zuhause hatte ,gehäkelt. Das war fast meditativ. Ich war sehr versunken in meiner Arbeit, bis mein Finger über den die Wolle läuft ,diese Reibung nicht mehr aushielt.
Warum ich soviel Wolle zuhause habe, dass ich davon sogar eine Decke häkeln konnte, das weiß ich auch nicht-da ich mich ja gar nicht für Handarbeit interessiere.
Bestimmt wollte ich mich mal dafür interessieren und habe alles gekauft, was ich brauche im was Interessantes zu gestalten.Denn Häkelnadeln aller Couleur hatte ich ja auch da. Hm?
Oma stickte und klöppelte jedenfalls Deckchen und Kissenbezüge. Und diese Deckchen durfte ich immer verwenden. Auch die Kissen. Zum Spielen.
Ich habe oft gespielt, ich sei das tapfere Schneiderlein und wandere in der Welt umher.
Und die Zuckerstulle aß ich, wenn ich Rast machte auf meinem beschwerlichen Weg durch die Wälder und Berge und Täler.
Es war immer toll bei Oma. Viel besser als zuhause. Oma hat mich nämlich einfach gelassen. Sie hat mich einfach geliebt und gelassen. Deswegen war sie auch so gelassen.
Oma ist tot.
Ich muss grad tatsächlich weinen.
Meine Oma ist tot.
Ich weiß, dass es ihr gut geht. Immerhin, ist sie immer bei mir. Jeden Tag. Jede Nacht.
Sie ist im einarmigen Weihnachtsmann. Ich rieche und fühle sie. Er wurde bis heute nie gewaschen.
Alle kennen ihn. Weil er immer mit dabei ist wenn ich irgendwohin fahre.
Auch in die Internetstube.
Sie ist damit einverstanden sich auch hier mal umzukucken.
Diesen kleinen Plüschweihnachtsmann hielt sie auch im Sterben in ihrer Hand. In der linken Hand. Bis sie nicht mehr atmete und endlich wieder gehen konnte - so wie früher, als die Beine und das Herz das noch mitmachten- hinzugehen wo man will.
Ich lag neben Oma als sie starb. Ich habe mich einfach mit in ihr Bett gelegt, das im Altenheim stand.
Die letzten Worte die sie sagte, kurz bevor sie nur noch gedanklich-aber hey! das ist ebenso toll- mit mir redet, waren "Es ist gut". Sie sagte, es sei gut.
Ich glaube ihr.
Sie wollte mich damit nicht beruhigen. Ich weine immer noch Oma...hörst Du. Es war so ein schwerer Tag für mich. Auch für Dich, das weiß ich. Es war ein sehr schwerer Tag für uns beide. Sehr sehr schwer. Meine Oma starb. Das liebste Wesen das ich bis dahin kannte. Sie hat mich immer gelassen. Auch als sie starb, hat sie mich gelassen.
Und auch als sie starb, war sie gelassen. Meine Oma.
Den kleinen Weihnachtsmann, der schon damals ganz abgenutzt und gedrückt war, den habe ich ihr mal geschenkt. Ein oder zwei Jahre zuvor. Und sie hat ihn immer sehr festgehalten. Denn sie hatte oft starke Schmerzen. Er hat in ihren Händen das manchmal bestimmt gut abgefangen.
Der kleine Weihnachtsmann ist seitdem bei mir.
Und meine Oma ist irgendwie da drin. Er bekommt jeden Abend einen Kuss und wird gedrückt von mir. Er kommt auch überall mit hin. Egal wohin ich fahre. Er kommt mit.
Und ich sag dann so Sachen wie zum Beispiel: "kuck mal Oma, jetzt bist Du in Schweden, so ist es hier". "kuck Oma, so sieht es in Holland aus". "Oma, Du bist in Polen"...
Ich zeige meiner Oma ein bisschen die Welt aus meiner Sicht.
Sie war nie weg . Sie war niemals im Urlaub.
Meine Oma hat elf Kinder auf diese Welt gebracht.
Unter anderem meine Mutter, wegen der ich ja heute hier bin.
Und wegen der ich am Tag der Kuscheltier-Liebhaber über meine Oma schreiben kann und weinen kann, weil ich so sehr lieben kann. Wegen meiner Oma. Von ihr habe ich gelernt was Liebe ist. Und wie man gelassen bleibt und lässt.
Meine Oma Erika.
Mein kleiner Weihnachtsmann.
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